Samstag, 5. November 2011

Friedrich August von Hayek und die Gleichheit

Kaum jemand wird öffentlich bestreiten wollen, dass Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit die wichtigsten politischen Grundwerte sind, deren Verwirklichung zu den wesentlichen Aufgaben des Staates gehört. Dennoch ist zugleich die Annahme mehr als umstritten, dass Freiheit und Gleichheit miteinander verträglich sind und die gemeinsame Grundlage für Gerechtigkeit bilden.

Im Jahre 1944 erschien ein Buch, dass in dieser Frage eindeutig Partei ergriff zugunsten der individuellen Freiheit und damit vor allen Formen des Kollektivismus und totalitären Tendenzen in der Politik warnte. Die Rede ist von „Der Weg zur Knechtschaft“ von Friedrich August von Hayek. Das Buch, gewidmet "den Sozialisten in allen Parteien", wurde zum Bestseller und machte Hayek, der seit 1931 an der London School of Economics lehrte, mit einem Schlag berühmt.

Ausgangspunkt von Hayeks Überlegungen ist der Begriff des „Individualismus“, der wesentlich durch die Achtung vor dem Individuum als Menschen gekennzeichnet ist, auf keinen Fall aber mit Eigennutz und Selbstsucht verwechselt werden dürfe. „Dies ist gleichbedeutend mit der Anerkennung seiner Ansichten und seines Geschmackes als der letzten Instanz in seiner eigenen, wenn auch noch so begrenzten Sphäre und mit dem Glauben, dass die Entwicklung der individuellen Begabungen und Neigungen des Menschen wünschenswert ist.“ (33)

Die Argumentation von Hayek läuft letztlich darauf hinaus, dass die Kreativität und Innovation des Einzelnen nicht nur notwendig sind für gesellschaftlichen Fortschritt und wirtschaftlichen Wohlstand, sondern dass sie sich nur dann entfalten können, wenn der Staat möglichst wenig in die Freiheit des Individuums eingreift.

Diese individuelle Freiheit kann daher nur in einem Rechtsstaat garantiert werden, weil nur hier, „die Regierung in allen ihren Handlungen an Normen gebunden ist, die im Voraus festgelegt und bekannt gegeben sind – Normen, nach denen man mit ziemlicher Sicherheit voraussehen kann, in welcher Weise die Obrigkeit unter bestimmten Umständen von ihrer Macht Gebrauch machen wird und die es dem Individuum erlauben, sein persönliches Verhalten danach einzurichten.“ (101)

Der Spielraum der Exekutive ist nun so klein wie möglich zu halten. So wie jedes Gesetz die Freiheit des Individuums bis zu einem gewissen Grad begrenzt, haben die Gesetze im Rechtsstaat die Funktion, die Regierung in ihrer Macht dahingehend einzuschränken, die Pläne der Individuen zu behindern.

„Innerhalb der bestehenden Spielregeln kann das Individuum seine persönlichen Ziele und Wünsche verfolgen, ohne fürchten zu müssen, dass die Regierung ihre Macht dazu benutzt, seine Pläne absichtlich zu vereiteln.“ (102)

So ist allein der Rechtsstaat in der Lage, jene Gleichheit vor dem Gesetz zu garantieren, die das Gegenteil von Willkürherrschaft ist. Rechtsstaatliche Verhältnisse beruhen auf der Ausübung des formalen Rechts durch Gesetze, die eben keine Privilegien oder Vorrechte für einzelne – von der Regierung ausgewählte – Personen festschreiben.

Die Konsequenz aus diesen Überlegungen ist, dass Gleichheit notwendig als Rechtsgleichheit und eben nicht als materielle Gleichheit interpretiert werden muss.

„Eine notwendige und nur scheinbar paradoxe Schlussfolgerung … ist, dass die formale Gleichheit vor dem Gesetz sich im Widerstreit befindet, ja unvereinbar ist mit einer Politik, die bewusst die materielle und substantielle Gleichheit verschiedener Individuen anstrebt und dass irgendeine Politik, die sich direkt das substantielle Ideal der Verteilungsgerechtigkeit zum Ziel setzt, zur Zerstörung des Rechtsstaates führen muss.“ (109)

Die im ersten Moment vielleicht überraschende These beruht auf einer einfachen Logik: Wenn man versucht, die in einer Gesellschaft lebenden verschiedenen Individuen in die gleiche materielle Lage bringen will, so führt dies dazu, dass man sie notwendiger­weise verschieden behandeln muss. Das aber ist eben mit dem Gleichheitsgrundsatz des Rechtsstaates nicht vereinbar.

Die formale Gleichheit dagegen ermöglicht ja gerade jedem Individuum, innerhalb der geltenden Gesetze sein eigenes individuelles Glück zu suchen. Ein Rechtssystem, welches nicht auf formaler Gleichheit beruht, muss notwendig festlegen, welchen Lebensstandard die Menschen haben sollen – und dies ist wiederum nicht anders möglich als im Rahmen einer  diktatorischen Politik.

Natürlich leugnet Hayek nicht, dass es in einem Rechtsstaat auch wirtschaftliche Ungleichheit geben kann. Hayeks Vorstellungen, die er in seinem späteren Werk „Die Verfassung der Freiheit“ (1960) konkretisiert, schließen nicht aus, dass die Wirtschaftstätigkeit reguliert werden muss, solange die Regulierung nach allgemeinen Regeln erfolgt. Hayek weist also die Idee des Laissez-faire deutlich zurück.

Trotz seiner provokanten Thesen ist der "Weg zur Knechtschaft" ein erstaunlich "höfliches Buch", wie Joseph Schumpeter einmal bemerkte. Hayek wirft seinen Gegnern nichts anderes als "intellektuellen Irrtum" vor. In gewisser Weise teilt er sogar ihre letzten Ziele, unter anderem die Beseitigung von Armut - nur zeigt er die fatalen und ungewollten ökonomischen und politischen Folgen des Kollektivismus auf. Im Zweifelsfall ist eben die individuelle Freiheit stets das höhere Gut, das es zu verteidigen gilt. 

Zitate aus: Friedrich August Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, München 2007 (Olzog)

Weitere Literatur: Friedrich August Hayek: Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 2005 (Mohr Siebeck) -- Hans Jörg Hennecke: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Düsseldorf 2000 (Verlag Wirtschaft und Finanzen)
 

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