Donnerstag, 10. August 2017

Humboldt und die humanistische Bildung (Teil 1)

Eine der fundamentalen Ideen der Aufklärung bestand bekanntlich darin, durch Bildung aller Schichten und Stände die Gesellschaft zum Positiven zu verändern. Am Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich allmählich das Postulat durch, dass so etwas wie allgemeine Menschenbildung selbst Bauernkinder erreichen soll.

Dabei ging es in erster Linie darum, dass man nicht zweckorientiert lernt im Sinne einer Berufsbildung, sondern allgemeine Menschenbildung: Was heißt es, Mensch zu sein, was heißt es, für die Gesellschaft tätig zu sein, was heißt es, für sein individuelles Wohlsein zu sorgen - dass man eine Zeit des Nachdenkens und der Muße wenigstens am Beginn des Lebens, in der Jugendzeit, allen Menschen ermöglicht.

Wilhelm von Humboldt
Auch Wilhelm von Humboldt erklärt die Bildung zum höchsten Ziel des Lebens: „Der wahre Zweck des Menschen ... ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“, heißt es in der Abhandlung „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen - ein frühes Manifest des Liberalismus. Humboldt verteidigt darin den Anspruch, dass jeder Einzelne ein freies und selbstbestimmtes Leben führen kann - gegen den umfassenden Ordnungsanspruch des Staates: „Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng Verbundenes: Mannigfaltigkeit der Situationen.“

Am 22. Juni 1767 wurde Wilhelm von Humboldt in Potsdam geboren, zwei Jahre später kommt sein Bruder Alexander zur Welt. Der Vater ist ein preußischer Offizier und Kammerherr am Hofe Friedrichs des Großen, die Mutter eine vermögende, bildungsbedachte Adlige aus einer Hugenottenfamilie. Die Jungen genießen eine relativ unbeschwerte Kindheit, im Sommer im Familienschloss am Tegeler See, im Winter in der Berliner Stadtwohnung am Gendarmenmarkt. Sie können mit 12 Jahren schon mehrere Sprachen und lesen viel.

Der frühe Tod des Vaters 1779 wirft einen Schatten auf ihre Seele, Erzieher versuchen die Lücke zu füllen, darunter vor allem der Pädagoge Joachim Heinrich Campe. Campe war „Philanthrop“ (gr. "Menschenfreund"), wie sich die Anhänger einer pädagogischen Reformbewegung nannten, inspiriert vom französischen Philosophen Jean Jaques Rousseau und seinem Erziehungs-roman "Emile".

Man wollte vor allem die Lernfreude der Kinder wecken. Kindgerecht sollte die Erziehung sein, naturnah und freundschaftlich statt autoritär. Das richtete sich gegen die hergebrachte Strafpädagogik, aber auch gegen den erbarmungslosen Drill vieler Kinder zu kleinen Erwachsenen, der je nach gesellschaftlichem Stand auf einer Ritterakademie oder Offiziersschule stattfand, in einer Buchbinderwerkstatt oder Kirchensakristei, auf dem bäuerlichen Feld oder in der Webstube.

Das Neue und Interessante an Campes Pädagogik ist, dass er versucht hat, ein Gespräch zuzulassen zwischen Lehrern und Schülern. Dass er die Schüler animiert hat, auch dumme Fragen, naive Fragen zu stellen, die er nicht zurückgewiesen hat, aber sie sollten mit dem Lehrer in ein Gespräch kommen, von sich aus mit ihren Fragen sich Stück für Stück der Beantwortung eines Problems nähern, um die Welt eigenständig begreifen zu lernen -  fast wie in der Wissenschaft.

Eigenständiges Denken ...
Für Campe ging es in der Erziehung um die Lust am selbständigen Lernen und Neugier auf die Vielfalt der Welt. Die Botschaft Campes an die Humboldts in dieser frühen Zeit ist die: Seht die Welt mit Augen an so, dass ihr versteht, die Vielfalt ist ein Reichtum. Das Andersartige ist eine positive Herausforderung und dieses ist beides jedenfalls keine Bedrohung. Wenn wir wissen wollen, was wir als Menschen vermögen, erreichen können, wer wir überhaupt sind als Mensch, dann müssen wir die Vielfalt kennenlernen - das Menschsein und die Menschheit in ihrer Vielfalt.

Als Wilhelm von Humboldt 1788 in Göttingen ein Jura-Studium beginnt, öffnen sich neue intellektuelle Möglichkeiten und Freiheiten - jenseits der mütterlichen Aufsicht, die auf eine anständige Karriere als Jurist in Staatsdiensten gepocht hatte. Humboldt legt dann zwar auch sein Jura-Examen ab, aber wichtiger bleiben ihm eigene Interessen.

Dazu gehören zum Beispiel die Sprachen und Kulturen der Antike, die damals, zurzeit von Klassik und Neuhumanismus, als Zeugnis höchster Menschenbildung gelten. Der griechische Geist sei "ein Ideal desselben, was wir selbst sein und hervorbringen möchten" schrieb Humboldt und idealisierte die griechische Polis als vorbildliches Gesellschaftsmodell.

An den antiken Sprachen und Texten könne man daher Charakter und logisches Denken schulen. Diese Annahme wurde später auch Grundlage der "humanistischen Gymnasien" mit ihrem Unterricht in Griechisch und Latein. Aber für Wilhelm von Humboldt und seine Zeitgenossen gab es noch eine andere faszinierende Kultur.

1789 brach der Student Humboldt mit seinem Lehrer Campe zu einer Reise auf - in das revolutionäre Paris. Es sind die Wochen nach dem Sturm auf die Bastille. Im Namen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurden die feudalen Machtstrukturen eingerissen. Für Wilhelm von Humboldt ein bewegendes Beobachtungsfeld: wie reagierten die Menschen in Paris jetzt?

Die ganze „deutsche Intelligenz“ - die Schlegel Brüder, die Humboldts, Goethe und viele andere mehr - waren begeistert eingetreten für die Freiheitsideale und dann waren sie - das ist das Tragische - auch sehr schnell enttäuscht davon, denn die Revolution endet zunächst in blutigem Terror. Napoleon schließlich beginnt nach 1800 einen Feldzug gegen andere europäische Länder.


Vielfalt: Die Grundlage für ein universelles Menschheitsideal

Humboldt hält dennoch an einem universellen Menschheitsideal fest, wie es in der Revolution formuliert worden war - im Gegensatz zu vielen anderen Gelehrten, die sich nach den Besetzungen durch Napoleon nationalistisch und völkisch orientierten, mit einer romantischen Besinnung auf die ganz eigene Kultur.

(Fortsetzung folgt)


Zitate aus: Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Volltext im Deutschen Textarchiv





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