Donnerstag, 6. Juli 2017

Ottfried Höffe und die Subsidiarität

„Ein demokratischer Rechtsstaat läßt seinen Bürgern viel Freiheit.“ Höffe geht davon aus, dass der Staat kein Selbstzweck ist, sondern letztlich dem dient, der allein zählt, also der selbständigen und selbstverantwortlichen Person. Daher „weiß der Staat um seine subsidiäre Legitimation.“

Subsidiarität und Eigenverantwortung

Allerdings, so stellt Höffe fest, neigen Politiker und Politikwissenschaftler bei ihrer Wertschätzung der Subsidiarität dazu, „diese mit Delegieren und Dezentralisieren gleichzusetzen. Wer delegiert, gibt aber Kompetenzen ab, die ihn vielleicht überfordern, die er jedoch im Prinzip besitzt. Das Subsidiaritätsprinzip schlägt die Gegenrichtung ein und beginnt alle Rechtfertigung von unten.“

Daher habe das Subsidiaritätsprinzip zwei Seiten, es ist ein „Zuständigkeitsrecht“ und zugleich ein „Wegnahmeverbot“: Was der einzelne aus eigener Initiative und mit eigenen Kräften leisten kann, darf seiner Zuständigkeit nicht geraubt und der Gemeinschaft zugewiesen werden.

Das Individuum hat das Recht, als Kehrseite freilich auch die Pflicht zur Eigenverantwortung und Selbsthilfe. Ein Staat, der dagegen verstößt, indem er beispielsweise den Sozialstaat zum Fürsorgestaat „ausbaut“, handelt nicht nur töricht, da er sich finanziell überfordert. „Er handelt vor allem illegitim, denn er macht sich einer Kompetenzanmaßung schuldig.“

Recht und Pflicht zur Eigenverantwortung
Wer die Kompetenz als erstes beim Staat vermutet und sie nur bei dessen Überforderung abgibt, denkt „etatistisch“ und antisubsidiär. Nach dem Subsidiaritätsgedanken werden nicht etwa untere Sozialeinheiten, also Familien, Wohlfahrtsverbände oder die Kommunen deshalb in den Dienst der oberen genommen, weil diese allein nicht mehr zurechtkommen.

Die oberen Einheiten müssen vielmehr ihre Zuständigkeit nach unten, letztlich vor den betroffenen Individuen, rechtfertigen. Überschießende Kompetenzen werden nicht delegiert, sondern als angemaßte Kompetenzen an den rechtmäßigen Inhaber zurückgegeben.

Das Wegnahmeverbot geht gegebenenfalls in ein Rückgabegebot über. Daß dann die oberen Instanzen ihre verbleibenden Aufgaben umso besser erfüllen, ist wohltuend, aber nicht der Zweck, sondern die willkommene Nebenwirkung.


Die Folge für den Sozialstaat liegt auf der Hand: "Der legitime Sozialstaat ist freiheitsfunktional und überläßt vieles der Freiheit seiner Bürger, der illegitime, paternalistische, überdies maternalistische Fürsorgestaat hingegen entmündigt die Bürger."


Zitate aus: Otfried Höffe: Die Macht der Moral im 21. Jahrhundert. Annäherungen an eine zeitgemäße Ethik, München 2014

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