Donnerstag, 10. Dezember 2015

Anthony Ashley Cooper - Third Earl of Shaftesbury - und die Probe des Lächerlichen


„Gravitätischer Ernst ist recht eigentlich 
das Wesen des Betrugs und der Heuchelei. 
Er läßt uns nicht nur andere Dinge mißverstehen, 
sondern ist fast stets in Gefahr, sich selbst zu verfehlen.“
(Shaftesbury, A letter concerning enthusiasm)


Es gehört zu den Grundüberzeugungen der Aufklärung, dass jeder Mensch selbst denken kann. Das Problem beginnt jedoch bei denen, die nicht selbst denken oder unabhängig handeln, sondern schlicht das nachmachen und nachsprechen wollen, was man ihnen vorgibt – oder wie Manfred Geier es ausdrückt: „Vormächte lassen sich nicht gern auf offene Gespräche ein, Vorbeter mögen keine Widerrede, und fundamentalistisch stabilisierte Vorurteile haben meist ein stärkeres Beharrungsvermögen als der stets auch riskante Gebrauch des eigenen Verstandes, dessen Urteilsfähigkeit angesichts vielfältiger Problemsituationen immer wieder aufs Neue herausgefordert wird.“

Philosophen lachen in der Regel nicht ...
Wie also soll man mit Menschen vernünftig diskutieren, die nicht bereit sind, sich durch die Kraft der besseren Argumente überzeugen zu lassen, sondern hartnäckig auf ihren vorfabrizierten Urteilen beharren? Wer sich selbst in die Tradition der Aufklärung stellt, kann sie ja nicht überreden und auch nicht gewaltsam gegen sie vorgehen.

Eine Möglichkeit des Umgangs mit „Verbohrten“, bei denen eine freie Denkbewegung offensichtlich nicht mehr möglich oder gewollt ist, bietet das befreiende Lachen: „Es richtet sich gegen die geistigen, religiösen und staatlichen Vormünder, die sich der freien Diskussion und vernünftigen Argumentation entziehen. Es entschärft die Gewalt, die von ihnen ausgeht, und demonstriert, dass man ihnen die geforderte Achtung versagt. Wer über eine Sache lacht, verweigert ihr den nötigen Respekt. Zugleich zeigt dieses Lachen den Nachbetern und unselbständigen Nachfolgern, dass ihr Verhalten lächerlich ist, gemessen an den Möglichkeiten des eigenen Verstandesgebrauchs, der ihnen als Menschenrecht zusteht.“

Nun hat das Lachen in der Philosophie keinen besonders guten Ruf, weil Philosophen in der Regel nicht lachen, sondern mit großer Ernsthaftigkeit dem anstrengenden Geschäft des Denkens widmen. Vielmehr werden Philosophen selbst zum Gespött der Leute, wie in der berühmten Anekdote über Thales von Milet, der beim Anschauen des Kosmos in einen Brunnen fiel. „Du willst ein Philosoph sein?“, fragt Epiktet in seinem „Buch vom glücklichen Leben“. „Dann macht dich darauf gefasst, dass man dich auslacht!“

Anthony Ashley Cooper
Third Earl of Shaftesbury
(
1671 - 1713)
Es war Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, der – als Schüler John Lockes - mit aufgeklärtem Verstand, geistreichem Witz und guter Laune die Vormächte seiner Zeit attackierte und sie einer „Probe des Lächerlichen“ unterzog.

In seinem Letter concerning Enthusiasm (1707) setzt sich Shaftesbury mit dem schwärmerischen Fanatismus der „Kamisarden“ auseinander. Diese französischen Protestanten waren im Winter 1706/07 nach London geflüchtet, wo sie jenen `Geist des Märtyrertums´ verbreiten, mit dem sie auch im katholischen Frankreich ihre Religion praktiziert und damit, so Shaftesbury, `den Geist der Liebe und Menschlichkeit verworfen haben zugunsten eines prophetischen Enthusiasmus, der alles in Flammen zu setzen droht.´

Wie soll man sich nun, so fragt Shaftesbury, gegenüber diesen leidenden Rechtgläubigen verhalten? Soll man sich ernsthaft auf ihren Fanatismus einlassen, mit dem Risiko, auch von ihm angesteckt zu werden? Oder empfiehlt es sich, dem römischen Dichter Horaz zu folgen, dessen Parole Shaftesbury seinem Brief über den Enthusiasmus als Motto voranstellt: „Ridentem dicere verum – Quid vetat? – Lachend die Wahrheit sagen. Wer verwehrt es?“

Die aus den Cevennen stammenden Kamisarden - deren Aufstand nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) zu einem latenten Partisanenkrieg führte und der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts im sogenannten Cevennenkrieg blutig entlud - halten ganz England mit ihren Eingebungen und prophetischen Ankündigungen eines Tausendjährigen Reichs in Atem. Der Kamisardenführer Elie Marion und seine Glaubensbrüder „verkünden die Zerstörung Londons, predigen Endzeitvisionen, fallen in Trance, sprechen in Engelszungen und geraten in konvulsivische Zuckungen, wobei sie manchmal auch auf den Händen laufen.“ Sie finden immer mehr neue Anhänger, die zu ihrem Glauben konvertieren. Wie soll man mit ihnen umgehen?


Das Kriegsgeschehen in den Cevennen
(C. Dankckerts, Amsterdam 1703)

Man könnte, gibt Shaftesbury ironisch zu bedenken, ihr Märtyrertum verstärken und ihnen die Gunst erweisen, `sie zu hängen oder einzukerkern; wenn wir nur so liebenswürdig sein wollen, ihnen die Gebeine, gemäß ihrer Landessitte, zu brechen, ihren Eifer zu steigern und von neuem die Kohle der Verfolgung aufzurühren.´ Aber diese Blöße will sich kein toleranter Engländer in seinem eigenen Land geben.

Für Shaftesbury gibt es eine viel effizientere Alternative - den Spott. Er erfährt, dass die Komödianten auf dem Jahrmarkt bereits angefangen haben, die Glaubenseiferer als Marionetten zu karikieren: „So weiß ich aus sicheren Quellen, daß sie eben jetzt Gegenstand eines vorzüglichen Possen- oder Puppenspiels auf dem Bartholomäusmarkt sind. Zweifelsohne sind dort ihre fremdartigen Stimmen und unfreiwilligen Bewegungen bewundernswert gut durch die Bewegung von Drähten oder das Blasen von Pfeifen in Szene gesetzt. Denn da die Körper der Propheten, wenn sie sich im Zustande des Weissagens befinden, nicht in ihrer Gewalt sind, sondern (wie sie selbst sagen) rein passive Organe sind, die von einer äußeren Kraft in Bewegung gesetzt werden, haben sie überhaupt nichts Natürliches oder dem wirklichen Leben Ähnliches in ihren Stimmen und Bewegungen.“

Diese spöttische Haltung kann auch in vielen anderen Fällen hilfreich sein. „Denn jeder Mensch, der seinen Verstand richtig und selbständig zu gebrauchen weiß, kann doch erkennen, dass es in der Welt recht närrisch zugeht und vieles lächerlich ist. Shaftesbury überträgt das komödiantische Spiel auf dem Jahrmarkt in den Geist der Aufklärung. Lernen wir lachen. Es gibt kein besseres Heilmittel in moralischen Krisen.“

Damit behauptet Shaftesbury natürlich nicht, dass alles lächerlich ist. Shaftesbury will kein Zyniker sein und er ist auch kein Nihilist. „Für ihn besteht ein großer Unterschied zwischen der Absicht, aus jeder Sache ein Lachen zu pressen, und dem Anspruch, an jeder Sache das zurecht Belachenswerte herauszustellen.“

Aber genau dafür soll der Test of Ridicule - die „Probe des Lächerlichen“ – dienen, denn was wirklich wertvoll und sinnvoll ist, wird sich nicht als lächerlich erweisen lassen; und was man als wirklich lächerlich nachweisen kann, wird gerade viel von dem Wert verlieren, den man ihm irrtümlich zugeschrieben hat, auch, weil man es viel zu lange zu ernst genommen hat.

"Habe Mut, dich selbst der Probe des Lächerlichen zu stellen!"

So richtet sich der Test of Ridicule als kritisches Unterscheidungsmittel „nicht nur gegen einen übersteigerten Enthusiasmus in religiösen Dingen, gegen blinden Glaubenseifer, Schwärmerei außer Sinnen und Verzückung ohne Unterlass. Er lässt sich auch selbstreflexiv auf jeden Menschen anwenden, der seine eigene Urteilskraft oder sein eigenes Naturell einer kritischen Prüfung unterziehen will. Gerade im Hinblick auf das eigene Selbst gibt es noch viel zu tun. Nehmen wir nicht das eigene vernünftige Denken manchmal viel zu ernst und täuschen uns über uns selbst? Habe Mut, dich selbst der Probe des Lächerlichen zu stellen!"

Noch einmal: Es geht Shaftesbury überhaupt nicht darum religiöse Glaubenswahrheiten dem Lächerlichen preiszugeben. Er entwickelt vielmehr ein Verfahren, um die Glaubwürdigkeit von Heilslehren und religiösen Leitfiguren überprüfen zu können. „Der Test of Ridicule dient der kritischen Unterscheidung zwischen den Menschen, denen etwas wahrhaftig wichtig ist, und den bewussten oder unbewussten Betrügern, deren Ernst ihre Unaufrichtigkeit maskiert. Sie gilt es zu entlarven. Gegen sie richtet Shaftesbury die Waffe des spöttischen Lachens, die er für wirksamer hält als den Gegenangriff mit gleichen Mitteln: `Denn ist es nicht verwunderlich, daß Heuchelei und Verstellung es wagen würden, dem Treffen mit einem gewichtigen Feind standzuhalten. Ein ernsthaft und feierlich vorgetragener Angriff, das wissen sie, bedeutet für sie keine so große Gefahr. Nichts verabscheuen und fürchten sie mehr als Heiterkeit und Humor´“
 
Humor und Religion - ein nicht immer einfaches Verhältnis ...

Das aber – und hier sind Shaftesbury von außerordentlicher Aktualität - betrifft vor allem die religiösen Fanatiker, „die vom Geist der Frömmelei erfüllt sind, die ihre scheinoffenbarten Glaubensgewissheiten mit falschem Ernst und Eifer im Volk verbreiten und es dadurch ganz außer Sinnen bringen können. Gegen sie ist der spöttische Scherz das beste Heilmittel.“

"Lachen wir. Ach, wie viele Scheiterhaufen wären erloschen und wie viele entsetzliche Tragödien in der Welt hätten nicht stattgefunden, wenn man bei allen religiösen Streitigkeiten nicht das Lachen und den Humor verloren hätte."


Zitate aus: Manfred Geier: Aufklärung. Das europäische Projekt, Hamburg 2012 (Rowohlt)   -   Weitere Literatur:  Anthony Ashley Cooper (Earl of Shaftesbury): Ein Brief über den Enthusiamus, Hamburg 1980 (Meiner)

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