Donnerstag, 6. November 2014

Heinrich von Kleist und das Glück

Heinrich von Kleist (1777-1811)
Heinrich von Kleist (1777-1811) war ein Dichter der deutschen Klassik und der Romantik. Er schrieb zahlreiche Essays und Erzählungen, wurde aber vor allem als Dramatiker berühmt. Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Der zerbrochene Krug“ (1808) und „Prinz Friedrich von Homburg“ (1821). Im Mittelpunkt seiner Werke steht der Konflikt zwischen dem Individuum und der Gesellschaft und zwischen der inneren Überzeugung und dem äußeren Handeln.

In seinem „Aufsatz, den sicheren Weg des Glücks zu finden und ungestört – auch unter den größten Drangsalen des Lebens – ihn zu genießen“ (1799) verteidigt Kleist die These, dass das Glück in der Befriedigung über das eigene tugendhafte Leben liegt.

Kleist geht zunächst von der Prämisse aus, dass Glück und materieller Überfluss sich nicht notwendigerweise bedingen: „Wir sehen die Großen dieser Erde im Besitze der Güter dieser Welt. Sie leben in Herrlichkeit und Überfluss, die Schätze der Kunst und der Natur scheine sich um sie und für sie zu versammeln, und darum nennt man sie Günstlinge des Glücks. Aber der Unmut trübt ihre Blicke, der Schmerz bleicht ihre Wangen, der Kummer spricht aus allen ihren Zügen. Dagegen sehen wir einen armen Tagelöhner, der im Schweiße seines Angesichts sein Brot erwirbt; Mangel und Armut umgeben ihn, sein ganzes Leben schein ein ewiges Sorgen und Schaffen und Darben. Aber die Zufriedenheit blickt aus seinen Augen, die Freude lächelt auf seinem Antlitz, Frohsinn und Vergessenheit umschweben die ganze Gestalt.“

Prototypus des unglücklichen Reichen ...

So kommt Kleist zum Schluss, dass das, was die Menschen Glück und Unglück nennen, nicht immer so ist, wie es zunächst scheint, „denn bei allen Begünstigungen des äußern Glückes haben wir Tränen in den Augen des erstem, und bei allen Vernachlässigungen desselben, ein Lächeln auf dem Antlitz des andern gesehen.“

Weil also das Glück, das sich auf äußere Dinge gründet, eher unsicher ist, so muss es dort, „wo es auch nur einzig genossen und entbehrt wird“ verankert werden, „im Innern.“ In der Tradition Epikurs stehend behauptet auch Kleist, dass „glücklich zu sein, […] der erste aller unsrer Wünsche [ist], der laut und lebendig aus jeder Ader und jeder Nerve unsers Wesens spricht, der uns durch den ganzen Lauf unsers Lebens begleitet, der schon dunkel in dem ersten kindischen Gedanken unsrer Seele lag und den wir endlich als Greise mit in die Gruft nehmen werden.“

Wo nun aber könnte dieser Wunsch erfüllt werden, wo könnte das das Glück besser sich gründen, als im Inneren, also dort, „wo auch die Werkzeuge seines Genusses, unsre Sinne liegen, wohin die ganze Schöpfung sich bezieht, wo die Welt mit ihren unermesslichen Reizungen im kleinen sich wiederholt?“

Glück ist eine Frage der inneren Verfassung!

Kleist ist überzeugt davon, dass es ein Glück geben muss, das sich von den äußeren Umständen trennen lässt, denn schließlich haben alle Menschen haben ja gleiche Ansprüche darauf, für alle muß es also in gleichem Grade möglich sein. Daher will Kleist „das Glück nicht an äußere Umstände knüpfen, wo es immer nur wandelbar sein würde, wie die Stütze, auf welcher es ruht.“

Vielmehr  will Kleist es „lieber als Belohnung und Ermunterung an die Tugend knüpfen, dann erscheint es in schönerer Gestalt und auf sicherem Boden. Diese Vorstellung scheint Ihnen in einzelnen Fällen und unter gewissen Umständen wahr, mein Freund, sie ist es in allen, und es freut mich in voraus, daß ich Sie davon überzeugen werde.“

Selbst wenn man dabei dem Glücksuchenden einen Eigennutz unterstellt, „so ist es der edelste der sich denken läßt, denn es ist der Eigennutz der Tugend selbst.“

So mache nur die Tugend allein den Menschen glücklich. „Das was die Toren Glück nennen, ist kein Glück, es betäubt ihnen nur die Sehnsucht nach wahrem Glücke, es lehrt sie eigentlich nur ihres Unglücks vergessen. Folgen Sie dem Reichen und Geehrten nur in sein Kämmerlein, wenn er Orden und Band an sein Bette hängt und sich einmal als Mensch erblickt. Folgen Sie ihm nur in die Einsamkeit; das ist der Prüfstein des Glückes. Da werden Sie Tränen über bleiche Wangen rollen sehen, da werden Sie Seufzer sich aus der bewegten Brust empor heben hören. Nein, nein, mein Freund, die Tugend, und einzig allein nur die Tugend ist die Mutter des Glücks, und der Beste ist der Glücklichste.“
 
Glück ist das Gefühl unsrer gegen tausend Anfechtungen und
Verführungen standhaft behaupteten Würde!
Was ist also Glück für Kleist? Auch hier bleibt er ein Anhänger Epikurs: „Ich nenne nämlich Glück nur die vollen und überschwänglichen Genüsse, die – um es mit einem Zuge Ihnen darzustellen – in dem erfreulichen Anschauen der moralischen Schönheit unseres eigenen Wesens liegen. Diese Genüsse, die Zufriedenheit unsrer selbst, das Bewusstsein guter Handlungen, das Gefühl unsrer durch alle Augenblicke unseres Lebens vielleicht gegen tausend Anfechtungen und Verführungen standhaft behaupteten Würde, sind fähig, unter allen äußern Umständen des Lebens, selbst unter den scheinbar traurigsten, ein sicheres tiefgefühltes und unzerstörbares Glück zu gründen.
   
Zitate aus: Heinrich von Kleist: Aufsatz, den sicheren Weg des Glücks zu finden und ungestört – auch unter den größten Drangsalen des Lebens – ihn zu genießen, Erstdruck in: Sämtliche Werke, hg. v. Theophil Zolling, Stuttgart 1885, online beimProjekt Gutenberg 

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