Donnerstag, 3. April 2014

Jesse James und der Wilde Westen

Das Bild, das der amerikanische Westernfilm von der Landnahme im Westen der USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnet, wird zu großen Teilen der historischen Wirklichkeit nicht gerecht.

Aufmarsch der Ballermänner (Szene aus "Hell on Wheels")
Auf längere Sicht reagierten gerade nicht Chaos und Gewalt, sondern es gab ein handfestes Bedürfnis der Menschen nach Rechtssicherheit, womit folglich auch die Bemühungen, dieses selbst durchzusetzen, stiegen.


Damit wird natürlich nicht behauptet, dass es keinerlei Probleme gab, nur: Viele der bekannten schießwütigen  Revolverhelden waren gerade nicht „Produkte einer immanenten Entwicklung innerhalb vorstaatlicher Strukturen. Sie waren eher Produkte politischer, d. h. staatlicher (!) Katastrophen, von denen der Krieg zwischen Nord- und Südstaaten (1861-1865) die weitaus schlimmste war.“

Rufen wir uns das bekannte Beispiel von Jesse James ins Gedächtnis. Unser Bild von Jesse James ist durch den gleichnamigen Film aus dem Jahre 1939 geprägt. Die Handlung spielt in der Welt der Rinderzüchter, die von raffgierigen Eisenbahngesellschaften intimidiert werden, was von James im Robin-Hood-Stil mit Zugüberfällen beantwortet wird.

Jesse und Frank James
Aber: „Der echte Jesse James war keineswegs so nett wie Tyrone Power.“ James und sein Bruder Frank begannen ihre krumme Karriere bei „Quantrill’s Raiders“ und anderen Guerillatruppen auf Seiten der Südstaaten.

In den westlichen Kriegsschauplätzen hatte der Süden die materielle Unterlegenheit gegenüber dem Norden mit einer „asymmetrischen Kriegsführung“ beantwortet, die sich auf punktuelle Guerilla- und Terroraktionen fokussierte und zu den blutigsten Kapiteln der amerikanischen Geschichte gehört. Namen wie William Quantrill, der mit seinen „Raiders“ durch das Massaker an der Zivilbevölkerung des in Kansas gelegenen Ortes Lawrence (1863) berüchtigt wurde und Nathan Bedford Forrest, dem späteren Gründer des KuKlux Klans, der sich bei der Einnahme von Fort Pillow dadurch auszeichnete, dass er sämtliche gefangenen schwarzen Soldaten umbringen ließ, seien genannt. Dies alles geschah mit aktiver Billigung und Förderung der Südstaatenregierung und -armee.

Für das Ziel, ihren Status als kleinbäuerliche Sklavenhalter zu erhalten, begingen Frank und Jesse unvorstellbare Verbrechen: „Mit dem Norden sympathisierende Zivilisten wurden überfallen, beraubt und/oder getötet. Sich ergebende Unionssoldaten wurden per se stets hingerichtet, die Leichen wurden skalpiert (die Skalpsammlung trug man zur Verbreitung von Terror am Sattel) und – wenn das Gefecht die Zeit zuließ – verstümmelt (vorzugsweise im Genitalbereich), damit Kameraden, die die Leichen fanden, auch gehörig abgeschreckt wurden.“

Heutzutage würde man die James-Brüder durchaus Terroristen nennen, in keinem Fall aber „Rächer der Entrechteten."

So ist die Biographie von Jesse James deswegen interessant, weil sie den Mythos des Wilden Westen und der mit ihm verbundenen Staatslosigkeit entlarvt: Nicht das staatsfreie Leben, sondern die Staatskatastrophe des Bürgerkrieges führte zum größten Verwilderungsschub des Wilden Westens.

Thomas J. Stiles behauptet daher in seinem Buch „Jesse James: Last Rebel of the Civil War“, “dass erst die Bürgerkriegsnachwehen und ihre Ausläufer dazu führten, dass das Bild vom „Cowboy“ entstand, das wir vom Film kennen. Es ist der Mann, der seine Waffe offen sichtbar im Halfter trägt. Diese Unsitte setzte tatsächlich erst mit dem Ende des Bürgerkriegs in den umstrittenen Territorien ein. Sie war schiere Notwehr in einer Bürgerkriegssituation und ihres Nacheffekts.

Übrigens: Am Ende machte der erwähnte William Quantrill schließlich überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen süd- und nordstaatlichen Zivilisten. Er ist somit ein hervorragendes Beispiel für die Verbindung „zwischen offen staatlich sanktioniertem Terrorismus und ordinärem Verbrechertum.“

Zitate aus: Klaus Füßmann, Detmar Doering (Hg.): Freedom – Frontier – Ford. Der amerikanische Western in der politischen Bildung, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Berlin, 2012 (COMDOK GmbH)



1 Kommentar:

  1. Lieber "Paideia": Komisch, dass irgendjemand meint, im "Wilden Westen" habe es eine "Rechtssicherheit" gegeben. Der Ausdruck "Wilder Westen" schließt ja schon ein, dass es hier kaum Gesetz und Regeln gab. Wenn überhaupt gab es einige Orte, an denen fähige und starke Männer für Ordnung sorgen konnten (oft genug mit der Waffe in der Hand). Der "second amendment" (zweite Zusatzartikel) in der USA war ursprünglich nötig und wichtig. Ob er heute noch viel Sinn ergibt, bezweifle ich, auch wenn die NRA (National Rifle Association) in den USA das behauptet. Viele der klassischen Wild-West-Helden waren Banditen und Spieler. Dennoch mag der "Wilde Westen" für risikowillige und schlaue Männer eine Herausforderung und eine Chance gewesen zu sein. Es ging ja eigentlich beim "Go West!" um die Landnahme und neue Chancen für sein eigenes Leben und das seiner Familie. Aber riskant war das sicher, seine Sachen zu packen und mit dem Pferdewagen gegen Westen zu ziehen, nicht nur wegen der Banditen und der mangelnden Rechtssicherheit, auch wegen der verärgerten Indianer, die ihr Land oft genug mit Gewalt verteidigten (was man ja auch verstehen kann: Es war schließlich ihr Land, das sie nicht einfach hergeben wollten).

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