Donnerstag, 23. Januar 2014

Hans Christian Andersen und Athen

Hans Christian Andersen (1805 - 1875)
Als Märchendichter ist Hans Christian Andersen weltberühmt. Dass er auch ein ausgezeichneter Reiseschriftsteller war, ist hingegen weniger bekannt.

Im Herbst 1840, in der Mitte seines Lebens, unternahm Andersen eine Reise über Deutschland und Italien nach Griechenland und anschließend weiter nach Smyrna und Konstantinopel. Seine Erlebnisse schildert er in einem Buch, das 1842 zunächst unter dem Titel „Eines Dichters Bazar“ erschien.

Andersen reist nach Griechenland in einer Zeit, als sich das Land und seine Hauptstadt Athen in einer Zeit des Umbruchs befinden. Erst 10 Jahre zuvor erfolgte die Gründung des neugriechischen Staates und die Übersiedelung der Königshofes und der Regierung von Nafplion nach Athen. 

Die nördliche Staatsgrenze verlief zwischen dem Golf von Arta im Westen und dem Golf von Volos im Osten. Der südlichste Punkt war Kap Tainaron, die Südspitze der Peleponnes. Ebenso wie der gesamte Norden des heutigen Griechenlands mussten auch die Ionischen Inseln, Kreta und der Dodekanes noch Jahre auf die Befreiung von der türkischen Herrschaft warten. Von den Inseln gehörten also lediglich die Kykladen, die Sporaden und die Argosaronischen Inseln zu Griechenland.

Athen war um 1834 kaum mehr als ein größeres Dorf mit etwa 300 Häusern und um die 1800 Einwohner. Knapp 10 Jahre später lag die Einwohnerzahl schon bei 21698.

Neben vielen genauen und feinfühligen Beobachtungen ragt die Beschreibung Andersens von seiner erstmaligen Ankunft in Athen heraus – die nicht frei von einer gewissen Idealisierung ist …

„Wir fuhren im Galopp, es staubte furchtbar, aber es war ja klassischer Staub. Bald erreichten wir den Olivenhain, Minervas heiligen Hain! Eine hölzerne Bude war an jeder Seite des Weges errichtet. Zitronen und Apfelsinen lagen hier ausgebreitet, garniert mit einer Reihe Flaschen, die Wein und Likör enthielten. Während unsere Pferde mit frischem Wasser getränkt wurden, kamen Bettler mit großen zinnernen Schalen, wir alle gaben ihnen, es waren ja Griechen (…).

Athen von Nordwesten aus gesehen

Vor uns lag jetzt die Akropolis, wie ich sie oft auf Bildern gesehen, aber jetzt war es Wirklichkeit! Der steile Lykabettos mit seiner schimmernd weißen Eremitenwohnung trat deutlich hervor, ich sah Athen. Weniger Schritte vor der Stadt, dicht am Wege zur Rechten, steht der Theseustempel mit seinen prächtigen Marmorsäulen, die von der Zeit gelblich braun geworden sind.

Ich sah ihn! Ich konnte mich nicht recht in den Gedanken finden, dass ich in Griechenland sei, dass ich in Minervas Stadt hineinrollte.“

Besonders fasziniert war Andersen von der Akropolis: „Während meines Aufenthaltes in Athen, bei Sonnenschein und Regen, besuchte ich täglich die Akropolis. Durch einen Besuch derselben feierte ich meinen Geburtstag, hier las ich meine Briefe aus der Heimat; die Akropolis war der Ort in Athen, welchen ich zuletzt besuchte, als ich fort sollte, auf der Akropolis verweilt mein Gedanke am längsten, wenn er Griechenland besucht.

Hier fühlte ich keinen Mangel, den ausgenommen, dass nicht alle meine Lieben diesen Anblick mit mir teilen konnten.

Ein Sonnenuntergang von hier gesehen ist das Erhabenste, was ich kenne! Ich sah einen solchen, ich saß auf den Stufen zum Parthenon. Alles war öde und tot gegen den Hymettos hin, schwarze Vögel schwebten über dem Tal, wo eine einsame weiße Säule steht.

Die Sonne sank hinter dem Golf von Salamis, und die Berge strahlten in den stärksten Tinten, Ägina war blau wie die frischesten Veilchen. Dieselben Farben, dieselben Bergformationen, wie ich sie erblickt, haben Plato, Sokrates und die Großen jener Zeit von derselben Stelle aus gesehen.
 
Blick von der Akropolis zum Saronischen Golf

Es war derselbe Schauplatz, welchen sie betraten; ich hatte während eines Augenblicks ein Gefühl, als wäre ich in die Zeit jener großen Erinnerungen und Begebenheiten zurückversetzt!

Die Sonne ging unter, und ohne vorhergehende Dämmerung wimmelten die funkelnden Sterne hervor über den gigantischen, zerbrochenen Tempeln. (…)

Griechenlands Natur ist in ihrer Trauer zu groß, als dass man darüber weinen könnte; man wird durch sie erhoben!“


Zitate aus: Hans Christian Andersen: Griechenland und der Orient. Eine märchenhafte Reise, Athen 2011 (Verlag der Griechenland Zeitung)   -   Bilder aus: Armand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld: Griechenland in Wort und Bild. Eine Schilderung des hellenischen Königreiches, London 1992. Reprint der Ausgabe 1887 (Phaidon)

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